Das Reformpapsttum 1046 bis 1122/23 - Teil 2

Von Eintracht und Streit im Abendland - Der lange Atem von Sutri nach Worms (Fortsetzung)

II. Heinrich IV. und das „Dictus Papae“.
Die erste Phase der Reform war von Eintracht zwischen dem regnum (Reich) und sacerdotium (Priestertum) geprägt. Zwar hatten sich unter Papst Leo IX. schon erste Emanzipationserscheinungen gezeigt, blieben aber unter Kaiser Heinrich III. noch weitgehend symbolischer Natur. Mit dem Tod des Kaisers 1056 begann nun die zweite Phase des Reformpapsttums, die vom Konflikt zwischen Papst und Kaiser geprägt war und im Pontifikat Gregors VII. ihren Höhepunkt fand.
Mit Viktors Nachfolger, Stephan IX. (1057/58), wurde das erste Mal seit Clemens II. ein Papst ohne die Zustimmung des Königs-/Kaiserhofes gewählt und inthronisiert. Das war teilweise an der unklaren Königssituation im Reich geschuldet, denn nach dem Tod Heinrichs III. war der Königsthron im Reich vakant, denn sein Sohn, Heinrich IV., war zu dem Zeitpunkt noch ein Kind. Die Frau Heinrichs III., Kaiserin Agnes, konnte die Leere, die ihr Mann hinterließ, nicht adäquat füllen.
1058 schaffte es Benedikt IX., seinen Papststuhl zurückzuerobern, indem er die momentane Schwächung des Kaiserhofes ausnutzte. Und da die Wahl des Papstes maßgeblich vom Kaiser abhing, war der Weg nach dem Tod Stephans IX. frei.
Lang konnte er sich jedoch nicht halten, denn die Reichsbischöfe einigten sich unter der Leitung des Archidiakons Hildebrand und unter Einwilligung der Kaiserin Agnes auf den Bischof von Florenz als neuen Papst. Er wird sich Nikolaus II. nennen, da er am Nikolaustag 1058 gewählt wurde. Nikolaus II. zog erst 1059, unter Begleitschutz Gottfried des Bärtigen, in Rom ein. Benedikt IX. wurde vertrieben.
Diese Wahl fand ohne acclamatio des Volkes von Rom statt, und dazu noch außerhalb von Rom. Er wurde noch nicht einmal in Rom inthronisiert. Dieses Novum sollte nun 1059 auf der Synode zu Rom geklärt werden. Man wollte sich von der Fremdbestimmung des Kaisers ein für alle Mal lösen, wollte die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche vorantreiben, wollte in diesem Punkt Klarheit schaffen.
Am Ende der Synode von 1059 stand ein synodales Dekret, in dem festgelegt wurde, wie die Papstwahl in Zukunft abzulaufen hatte. Es war die erste schriftliche Festlegung der Papstwahl, des Konklave. In diesem Dekret wurde eine dreigliedrige Papstwahl festgeschrieben:
- Kardinalbischöfe schlagen Kandidaten verbindlich vor.
- Kardinalkleriker stimmen dieser Vorwahl zu.
- Akklamation durch Kleriker und Volk.
In dieser Reihenfolge hatte die Papstwahl abzulaufen, wobei die Kardinalbischöfe (später dann die Kardinäle) maßgeblich die Wahl beeinflussen. Des Weiteren wurde Rom zum bevorzugten Wahlort ernannt, der jedoch nicht zwingend notwendig war. Wenn aufgrund eines Hindernisses die Wahl nicht in Rom stattfinden könne, dürfe auch der Wahlort variieren. Damit war die Wahl Nikolaus’ II. nachträglich legitimiert worden.
Anforderungen wurden auch an den Kandidaten gestellt. Er müsse „würdig“ und „möglichst ein Römer“ sein. Die Rechte des Kaisers bei der Papstwahl wurden drastisch beschnitten. Er hatte kein Nominationsrecht mehr, sondern lediglich ein Vetorecht. Dieses Vetorecht musste aber jedem Kaiser einzeln verliehen werden von den Kardinalbischöfen. Unter Umständen hatte der Kaiser bei einer Papstwahl also gar nichts mitzureden.
Anzumerken sei vielleicht noch, dass es in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts eine Fälschung dieses Dekrets gab, die dem Kaiser wieder mehr Rechte einräumte. Diese Fälschung wurde erst von der neueren Forschung als solche entlarvt.
1061 gab es bereits wieder ein Schisma. Nach dem Tod Nikolaus II. wählte der Stadtadel in Rom sich wieder einen neuen Papst, einen Gegenpapst: Honorius II., der nach Verhandlungen jedoch 1064 wieder abdanken musste. Der neue Papst nannte sich Alexander II. (1061-1073) und wurde von den Reformern ordnungsgemäß nach der neuen Papstwahlordnung gewählt. Er intensivierte den päpstlichen Einfluss im Reich durch Ausbau des Legatensystems. Hatte Leo IX. noch ausgedehnte Reisen durch das Reich und Frankreich unternommen, so übte nun Alexander über seine Legaten den nötigen Einfluss aus und die nötige Präsenz.
Er griff auch aktiv in die Politik ein. So begünstigte er Wilhelm den Eroberer bei seinem Kampf um die englische Krone 1066 und übersandte ihm das Petersbanner als Zeichen der Unterstützung. Er nahm auch Kontakt zur Partia in Mailand auf, einer Bewegung des niederen Adels, die den Kampf gegen Simonie und Priesterehe auf die Fahnen geschrieben hatte. Dies tat er einerseits, weil er die gleichen Ziele verfolgte, andererseits wollte er mäßigend auf die Bewegung einwirken, damit es zu keiner Radikalisierung komme. Auch führte er einige Simonieprozesse, wie schon seine Vorgänger, gegen Bischöfe, die er eigens dazu zu sich nach Rom bestellt hatte.
Alles in allem führte Alexander II. die Reformpolitik seiner Vorgänger weiter, obwohl sich nun durch den immer höher werdenden Einfluss des Papstes ernsthafte Spannungen zwischen ihm und dem jungen Heinrich IV. aufbauten.
Als Alexander 1073 starb, war die Stunde für Hildebrand gekommen. Er hatte seit Leo IX. aktiv als Berater an den Reformen mitgearbeitet und maßgeblichen Einfluss genommen. Nun wurde er, Hildebrand von Sovana, zum Papst gewählt und nannte sich Gregor VII. (1073-1085). Seine Wahl stellt eine Besonderheit dar, da er nicht auf normalem Wege gewählt wurde. Noch auf der Beerdigung Alexanders II. wurde er auf den Stuhl Petri berufen. Man spricht von einer Inspirationswahl, einem Gottesurteil. Interessant ist auch, dass er sich „der Siebte“ nannte. Er hatte also Gregor VI. anerkannt, obwohl dieser von Kaiser Heinrich III. wegen Simonie des Amtes enthoben wurde. Gregor VII. war einer der wichtigsten Reformer und federführend bei der Reformbewegung. Sein Verhältnis zum Kaiser war bis 1075 gut. Das äußerte sich zum Beispiel dadurch, dass Gregor, der nach dem Erfolg der Seldschuken 1071 den Byzantinern helfen und einen Kreuzzug starten wollte. Da er diesen selbst anführen wollte, ging von ihm die Überlegung aus, Kaiser Heinrich IV. für die Dauer des Zuges als Vertreter in weltlichen Angelegenheiten zu machen. Er setzte also großes Vertrauen auf den Kaiser und hoffte, ihn als Mitstreiter gegen die Simonie zu gewinnen. Zu diesem Kreuzzug ist es aber nie gekommen, da Gregor kaum jemanden überzeugen konnte, an diesem Kriegszug teilzunehmen. Eine gemeinsame Synode gegen Simonie und Nikolaitie kommt ebenfalls nicht zustande.
Fehltritten des Kaisers in Bezug auf die Einsetzung von Bischöfen gegenüber ist Gregor zunächst nachsichtig, zumal der Kaiser mehrmals Besserung gelobte. Erst das Jahr 1075 sollte den Wendepunkt in der Beziehung zwischen Papst und Kaiser bringen.
In diesem Jahr gewann Heinrich IV. den Krieg gegen die Sachsen und war somit politisch gesehen auf seinem Zenit. In diese Stunde des Triumphs kommt ein Brief des Papstes, der ihn auffordert, die gebannten Räte endlich zu entlassen, die schon sein Vorgänger Alexander II. gebannt hatte. Des Weiteren drohte Gregor VII. dem Kaiser mit der Exkommunikation, falls er den Gehorsam verweigerte. Dieses sehr drastisch anmutende Schreiben stand am Ende vieler Beteuerungen Heinrichs auf Besserung, die er alle nicht eingehalten hatte.
Der Kaiser ist empört und verbündet sich mit seinen Fürsten und Bischöfen gegen den Papst und kündigte ihm im Januar 1076 in Worms den Gehorsam und die Treue auf. Er ging noch weiter und bezichtigte Gregor VII., nicht der richtige Papst zu sein, was eine Anspielung auf seine außerordentliche Wahl zum Papst war. Dies wurde in einem reißerischen Propagandaschreiben Heinrichs in Worms vor den Bischöfen verlesen und stachelte diese an. Von einer mutwilligen Zerstörung der göttlichen Ordnung durch Hildebrand ist in diesem Schreiben zu lesen. Hildebrand habe kein Recht, die Bischöfe zu ermahnen und abzusetzen und schon gar nicht das Recht, Einfluss auf das Königsamt zu nehmen. In dem Schreiben wird Gregor VII. nur als Hildebrand angeredet, was impliziert, dass er, laut König, nicht der Papst sei. Dieses Schreiben endet mit dem Appell an Gregor: „Steig herab! Steig herab!“
So ungeheuerlich dieses Verhalten war, so stellte auch die Reaktion Gregors ein Novum dar. Auf der Fastensynode 1076 erklärte er Heinrich IV. unter feierlichem Gebet an die beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus für exkommuniziert und seines Amtes als Kaiser und König und alle seine Untertanen des Treueeides enthoben.
Ja, es war sehr ungewöhnlich, dass der römische Kaiser exkommuniziert wurde. Zu dieser Zeit war das allgemeine Bild des Papstes noch geprägt von der jahrhundertelangen Zusammenarbeit mit dem Kaiser. Nun entschied sich Papst Gregor VII. dazu, mit dieser Tradition zu brechen, um der Kirche zu ihrer Freiheit zu verhelfen.
Dass dieser Schritt maßgeblich den Vorgang der Loslösung der Kirche aus der Gewalt des Kaisers vorangetrieben hat, ist im Nachhinein unbestritten. Gregor VII. gilt somit auch als Vorkämpfer für die Freiheit der Kirche, auch wenn sein Vorgehen den Zeitgenossen ungeheuerlich vorgekommen sein muss.
Begründet hat Gregor VII. diesen Schritt mit dem offenen Ungehorsam des Königs und rechtlich abgesichert mit seinem Dictus Papae, einer Art „Regierungsprogramm“.
Das Dictus Papae ist ein Text, der aus 27 Sätzen besteht, die die Befugnisse des Papstes definieren. Dort ist unter anderem festgehalten, dass der Papst, als Inhaber der Binde- und Lösegewalt Petri, das Recht habe, Könige abzusetzen und seine Untertanen vom Treueeid zu entbinden. Außerdem ist es ihm gestattet, Bischöfe auszutauschen und unabhängig von Synoden Gesetze zu erlassen. Damit wurde der Papst als unangefochtener Primus der Kirche definiert. Belegt werden diese 27 Forderungen aus älteren Kirchendokumenten, die teils echt, teils gefälscht waren. Die wohl berühmteste Fälschung ist die des Pseudo Isidors. Jedoch wusste Papst Gregor VII. nicht, dass es sich um Fälschungen handelte.
Daraufhin verlor Heinrich IV. den Rückhalt der Fürsten und der meisten Bischöfe, denn diese wurden, sofern sie mit Heinrich paktiert hatten, nach Rom zitiert, wo über sie gerichtet werden sollte.
Im Oktober 1076 wurde dann über Heinrich IV. in Tribur bei Mainz gerichtet. Dort wurde entschieden, dass er innerhalb eines Jahres wieder in die Kirche aufgenommen werden müsse, damit man ihn wieder als König akzeptieren könne. Heinrich IV. war also in Zeitnot, wenn er sein Königsamt nicht verlieren wollte.
Im Januar 1077 trat Heinrich IV. seinen berühmten Gang nach Canossa an, um sich die Absolution des Papstes zu holen und sich wieder in die lebendige Gemeinschaft der Kirche aufnehmen zu lassen. Er machte sich also auf, im Winter über die Alpen, um nach Rom zu gelangen. Da Gregor VII. aber fürchtete, dass Heinrich IV. gekommen war, um ihn mit Waffengewalt zur Widerrufung des Bannes zu zwingen, floh er nach Canossa. Also musste Heinrich ebenfalls dorthin. In Canossa angekommen stand er drei Tage lang im „härenem“ Gewand vor der Burg im Schnee und bat um Wiederaufnahme. Nach drei Tagen nahm der Papst Heinrich IV. wieder in die katholische Kirche auf.
Sicherlich spielte dabei auch eine Rolle, dass der Papst sich von der Ernsthaftigkeit des Kaisers zur Umkehr hat überzeugen wollen. Daher könnte erst nach dreitägigem Bußgang die Wiederaufnahme in die Kirche vorgenommen worden sein.
Warum nahm Heinrich IV. solche Strapazen auf sich?
Er wollte dem Papst zuvorkommen, denn dieser hatte mit den Reichsfürsten vereinbart, im Februar 1077 zusammen mit ihnen Gericht über Heinrich IV. zu halten. Da die Chancen Heinrichs IV. auf dieser Versammlung denkbar schlecht gewesen wären, wollte er dem zuvorkommen. Die erfolgte Rücknahme der Exkommunikation an sich bedeutete jedoch nicht automatisch die Wiedererhebung zum König. Heinrich IV. sah aber genau das darin. Danach, wieder zurück im Reich nahm er seine Regierungsgeschäfte wieder auf. Der Papst verhielt sich daraufhin passiv, griff also nicht ein. Zu der Versammlung im Februar kam es nicht.
Die Fürsten waren daraufhin enttäuscht und wählten einen neuen König, Rudolf von Rheinfelden, einen Schwager des Kaisers. Nun wurde von Gregor VII. verlangt, Stellung zu beziehen. Gregor vermied es aber drei Jahre lang, sich zwischen den beiden Thronaspiranten zu entscheiden. Ab dem Jahre 1077 versank das Reich in Chaos. Es wurde Krieg geführt. Der Bruch verlief durch das komplette Reich. Geistliche auf beiden Seiten, Adelsfamilien zerstritten sich. Von einer Annäherung zwischen Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden war nichts zu sehen. Erst der Tod Rudolfs 1080 in der Schlacht brachte die Entscheidung.
Das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser war aber mitnichten wieder bereinigt. Der Kaiser verzichtete nun zwar darauf, Simonie zu praktizieren, die Investitur der Bischöfe nahm er aber weiterhin vor. Dennoch ging Gregor VII. zunächst eher zögerlich bei der Infragestellung des königlichen Investiturrechts vor. Obwohl von ihm schon lange gefordert, dauerte es bis zur Frühjahressynode 1080, bis er Konsequenzen zog und den König ein zweites Mal exkommunizierte.
Das königliche Investiturrecht war dem Papst (1606 heiliggesprochen) schon lange ein Dorn im Auge, da die Loyalität der Bischöfe als Mitglieder der kirchlichen Hierarchie eigentlich nur ihm als Papst gehören sollte, weil er eben dieser Hierarchie als Primus vorstand. Somit sollte die Loyalität der Bischöfe nicht gleichzeitig zu großen Teilen auch dem König gehören.
Und dennoch kamen die ersten Impulse gegen die Königsinvestitur nicht vom Papst, sondern von den Bischöfen.
Um die Situation verstehen zu können, muss man sich den Wandel, den das Bischofsamt im Reich durchgemacht hatte, vor Augen führen. Das Eigenverständnis, die nova religio (gesteigerte Religiosität, neues Amtsverständnis) der Bischöfe, änderte sich und wandelte sich in den Siebzigern und Achtzigern des elften Jahrhundert enorm. Die häufige Anwesenheit und Einflussnahme der päpstlichen Legaten begann in jener Zeit Wirkung zu zeigen. Man besann sich auf die rechtlichen Aspekte der Bischofswahl, die kanonische Wahl. Erst wenige, dann immer mehr Bischöfe wollten es nicht mehr hinnehmen, dass sie vom König lediglich nach der Art der Staatsdiener eingesetzt wurden, sie wollten von der Kirche gewählt werden, nach päpstlichem Beispiel.
Es zeichneten sich reformerische Bewegungen ab, an deren Ende eine kanonische Bischofswahl stehen sollte. Außerdem wurde die Bischofsweihe als eine Art krönender Abschluss der Wahl betrachtet, da sie ja den Kandidaten, sollte er zum Zeitpunkt der Bischofswahl noch kein Kleriker, sondern nur ein Laie gewesen sein, aus dem Kreis der Laien herausgehoben hat. Denn dass auch Laien zu Bischöfen geweiht wurden, war damals keine Seltenheit. Diese Laien empfingen dann nacheinander die Weihen, der Reihenfolge entsprechend. Die Weihe als Zeichen der Enthebung des Bischofs aus dem Machtbereich des Königs.
Der Bischof wurde seit jeher als im Besitz von zwei wesentlichen Gewalten verstanden: der Weihe- und Amtsgewalt. So gehörten dazu sowohl die Spendung der Sakramente als auch die Gerichtsbarkeit in seinem Sprengel und das Recht, Versammlungen einzuberufen. Das waren die Pfeiler, auf denen das Verständnis eines Bischofs ruhte. Somit gründet dieses Verständnis sowohl auf geistlicher als auch auf weltlicher Amtsgewalt.
Und eben jene bisherige Praxis der Investitur der Bischöfe, ihrer Amtseinsetzung durch den König mit Übertragung also auch der geistlichen Gewalt, ließ beide Säulen (die weltliche wie geistige Gewalt der Bischöfe) auf dem Königtum fußen. Der Papst kritisiert genau das. Die Bischöfe stünden viel zu stark in der Welt. Sie seien doch primär geistliche Würdenträger, keine weltlichen. Die ständige Ermahnung der Bischöfe begann Früchte zu tragen. Auch sahen einige Bischöfe darin die Chance, sich dem Einfluss des Königs zu entziehen. Sie übernahmen dieses jetzt zwar als neu erscheinende, aber letztendlich doch ursprüngliche und sich auf die Einsetzung durch Jesus Christus berufende Verständnis des bischöflichen Amtes als geistige Oberhirten in ihrem Zuständigkeitsbereich, ähnlich wie der Papst für die ganze katholische Kirche zuständig war. Dieses Verständnis stärkte nun auch in der konkreten historischen Situation ihre Position dem deutsche König und den sonstigen weltlichen Fürsten gegenüber. Es trat eine gewisse Distanz zum König ein.
Dass der Papst alle Bischöfe, die 1076 mit Heinrich IV. paktiert hatten, zu sich nach Rom kommen ließ und ihnen einschärfte, dass ihr Hauptaugenmerk auf deren geistigen Aufgaben und Verpflichtungen liegen sollte, tat ihr Übriges dazu.
Das neue Amtsverständnis der Bischöfe wurde unter anderem auch auf ihren neuen Amtssiegeln sichtbar dargestellt. Viele ließen sich fortan auf einem Thron darstellen, als Herrscher. Mit einem Stab (als Zeichen der geistigen „Hirtenschaft“) in der Hand, der das neue Hauptaugenmerk auf ihre geistlichen Verpflichtungen richten sollte. Man begann in dieser Zeit auch mit dem Bau vieler großer Kirchen. Das sollte nicht nur die Macht des einzelnen Bischofs als kirchlicher Fürst ausdrücken, man sah sich vielmehr jetzt als einen Teil eines größeren Ganzen. Alles zur Ehre Gottes.
Dieses neue Verständnis des Bischofsamtes – neben der ursprünglich geistigen auch die weltliche Gewalt –, brachte auch eine neue gewisse Strenge gegen sich und ihre „Schäfchen“ mit sich. Man griff bei Verstößen gegen das Kirchenrecht und die Moralvorstellungen konsequenter durch. Jedoch führten manche Bischöfe nun auch körperliche Strafen für Vergehen gegen das Kirchenrecht ein.
Das Legatenwesen wurde stark ausgebaut, die Diözesen wurden mit einem engmaschigen Netz an Pfarreien und Archidiakonaten überzogen. So wurde gewährleistet, dass die Lehre der Kirche und die neuen Vorstellungen der Bischöfe auch bis in den letzten Winkel ihrer Sprengel drang und umgesetzt wurde. Somit wurde das erste Mal das Reich mit einem engmaschigem Verwaltungsnetz überzogen, das auch dem König zu Gute kam. Denn obwohl sich die Bischöfe im Laufe des Hochmittelalters immer mehr dem Machtbereich des Königs entzogen, blieben sie dennoch weiterhin ein wichtiger Bestandteil der königlichen Verwaltung und Herrschaft. Denn gerade durch dieses engmaschige Netz an Pfarreien war es dem König auch möglich, Verlautbarungen verkünden zu lassen und Abgaben einzutreiben.
Das Verhältnis zwischen Papst und den Bischöfen wurde auf ein neues Fundament gestellt, auf das gemeinsame Amtsverständnis. In gleichem Maße, wie sich dieses Verhältnis jedoch verbesserte, veränderte sich das Verhältnis zwischen dem König und seinen Bischöfen, die jetzt auf einmal nicht mehr nur seine Bischöfe waren. Der Einfluss des Königs auf die Bischofswahl, der sich maßgeblich auf die Investitur stützte, begann zu schwinden. Doch zunächst war der völlige Entzug der Bischöfe aus des Königs Machtbereich noch mehr ein Wunschtraum. Die kanonische Wahl blieb die Ausnahme von der Regel und bis zum Wormser Konkordat 1122/23 war die Investitur nach wie vor in des Königs Hand.
Diese Investiturfrage, auch Investiturstreit genannt, sollte in den nächsten Jahrzehnten der wichtigste Streitpunkt zwischen Papst und Krone werden.

Christian Schumacher

 

Anmerkung: Der erste Teil des Artikels „Das Reformpapsttum 1046 bisn1122/23“ befindet sich in den Beiträgen Nr. 127 unter dem Namen „Die Dunkle Zeit des Papsttums“

Quellen:
- August Franzen/ Remigius Bäumer: Papstgeschichte. Das Petrusamt in seiner Idee und in seiner geschichtlichen Verwirklichung in der Kirche, Freiburg i. Br. 1974
- Wildfried Hartmann: Der Investiturstreit, 3. Aufl. (überarbeitet). In: Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 21, Lothar Gall (Hrg.), München 2007
- Gerd Althoff: Das Amtsverständnis Gregors VII. und die neue These vom Friedenspakt in Canossa. In: Frühmittelalterliche Studien, Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Band 48, Wolfram Drews/Christel Meier (Hrg.), Münster 2014
- Stefan Weinfurter: Bischof und Reich. Wandel der Autoritäten und Strukturen in der späteren Salierzeit. In: Canossa 1077 Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Anfang der Romantik, Band 1 Esseys, Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff (Hrg.), München 2006

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